„Wir müssen um so viel besser sein, wie wir teurer sind!“Angela Merkel

Ein Satz aus 2006, der heute aktueller nicht sein könnte. Der deutsche Mittelstand steht unter Druck: Fachkräftemangel, steigende Löhne, internationale Konkurrenz. Wer in diesem globalen Wettbewerb bestehen will, muss effizienter werden – nicht nur im Maschinenpark, sondern auch im Vertrieb.

Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre internen Prozesse digitalisiert. Produktionsplanung, Buchhaltung, Zeiterfassung – alles läuft zunehmend digital. Doch an der Schnittstelle zum Kunden sieht es oft noch anders aus. Dort regieren häufig noch das Faxgerät, der persönliche Kontakt und viel Bauchgefühl.

Zeit, das zu ändern. Zeit für die Digitalisierung des Vertriebs. 

Status quo: Wie Vertrieb im B2B heute (noch) aussieht

In vielen mittelständischen B2B-Unternehmen in Deutschland ist der Vertriebsalltag seit Jahren gleich organisiert: Der Außendienst fährt zu Kunden, besucht Messen, trinkt Kaffee. Der Innendienst beantwortet E-Mails, schreibt Angebote, tippt Bestellungen ins System – und freut sich über jedes Fax, das wenigstens lesbar ist.
Verlässliche Strukturen gibt es zwar, aber auch viele Probleme:

  • Wichtige Kundeninformationen stecken in Köpfen, nicht in Systemen.
  • Bestellungen kommen als Freitext-Mails oder PDF, die eine manuelle Übertragung erfordern.
  • Datenqualität ist Glückssache.
  • Prozesse hängen an einzelnen Personen – und brechen im Krankheitsfall weg.

Wie es aussehen sollte

Die Schnittstellen zum Kunden sind heute zentrale Hebel für Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Wer schneller reagiert, besser informiert ist und standardisierte Prozesse im Vertrieb etabliert, gewinnt: neue Kunden ebenso wie die Loyalität der Bestandskunden.

Hinzu kommt: Gute Digitalisierung zahlt sich doppelt aus. Sie entlastet das Team und verbessert die Customer Experience, sie erleichtert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen und die Urlaubsvertretung. Damit die Digitalisierung des B2B-Vertriebs gelingt, haben wir fünf Bereiche identifiziert, die optimiert werden sollten.

1. Saubere Produktdaten als Basis

Ohne strukturierte, konsistente Produktdaten funktioniert kein digitaler Vertriebsprozess, egal ob es um automatisierte Angebote, Onlineshops oder KI-gesteuerte Bestellannahmen geht.
Zu oft sieht man die typischen Probleme:

  • Maßeinheiten mal in mm, mal in cm.
  • Komma hier, Punkt dort.
  • Technische Details fehlen oder widersprechen sich.

Solche Inkonsistenzen verhindern Automatisierungen und verärgern Kunden. Aber Achtung! Produktdatenpflege ist kein Nebenjob für Werkstudierende. Da müssen Expert:innen ran, welche die Materie verstehen, die Anforderungen der Branche kennen und relevante von irrelevanten Produktinformationen unterscheiden können!

2. Kundendaten konsolidieren – CRM ist Pflicht

Wenn der Außendienst alle wichtigen Infos im Kopf hat, läuft etwas falsch. Sobald ein:e Mitarbeiter:in krank wird oder das Unternehmen verlässt, geht Wissen verloren – über Preise, Ansprechpartner:innen, individuelle Absprachen oder Vorlieben im Kommunikationsstil.
Ein gutes CRM-System schafft Abhilfe:

  • Alle Kontakte und Aktivitäten sind an einem Ort hinterlegt.
  • Die Grundlage für zielgerichtete Marketingkampagnen ist geschaffen.
  • After-Sales und Service können optimal zugeschnitten werden.

Kundendaten sind Gold wert, wenn man sie richtig pflegt und alle Abteilungen im Unternehmen auf die für sie relevanten Daten zugreifen können.

3. Automatisierte Bestellannahme mit KI

Im Idealfall kann es so funktionieren: Bestellungen werden per EDI (Electronic Data Interchange) direkt vom ERP des Kunden zum ERP des Anbieters übertragen.

Der Normalfall ist oft anders: Bestellungen kommen als Fließtext in einer Mail, PDF oder telefonisch – das mag für viele digitalHub-Mitglieder oldschool klingen, ist aber für den deutschen Mittelstand leider oft Realität. Die gute Nachricht: Diese Daten können durch eine KI verarbeitet werden.

Moderne KI-Systeme können:

  • Texte und Telefonanrufe interpretieren (mit Hilfe von Natural Language Processing)
  • PDF-Daten extrahieren
  • Bestellungen direkt ins ERP übertragen

Der Vorteil:

  • Der Innendienst wird entlastet.
  • Fehler durch manuelle Übertragung sinken drastisch.

Und falls es mal hakt? Dann wird der Fall an einen Menschen übergeben. Denn kein System ersetzt den gesunden Menschenverstand.

Ein Beispiel:

Ein Kunde von uns bekam häufig Bestellmails mit mehr als 20 Produktpositionen. Es dauerte entsprechend lange, diese ins System zu übertragen und unter Zeitdruck ging da öfter mal etwas schief. Durch den geschickten Einsatz von KI konnte die Bestellannahme auf nur wenige Minuten pro Bestellung mit einer Fehlerrate von fast 0 gesenkt werden.

Das Gute daran:

Sie können unabhängig vom Kunden Ihren Prozess effizienter machen! Man muss nicht darauf warten, dass die Kunden auf digitale Prozesse umsteigen. Ihre Kunden werden nur merken, dass es schneller läuft als früher.

4. Kundenportal statt Warteschleife

Man kennt das aus dem B2C:

Ich schaue auf die Produktdetailseite und sehe eine Verfügbarkeitsampel. Ist sie grün, ist alles verfügbar und ich bestelle. Ist sie rot, such ich mir einen anderen Anbieter. Und wenn sie gelb ist? Dann wird zwar oft über eine längere Lieferzeit informiert, aber zur Sicherheit suche ich mir einen anderen Shop, in dem die Ware sofort lieferbar ist.

Im B2B-Bereich reichen grobe Verfügbarkeitsinformationen nicht. Ist die Ampel gelb oder rot, rufe ich sofort an oder ich suche mir einen anderen Lieferanten. Laut einer Studie des ECC Köln von 2024 stimmen 68% der Beschaffenden folgender Aussage zu:

„Wenn bei der Informationssuche schon keine Verfügbarkeiten angezeigt werden, beende ich dort die Suche.“

Ideal wäre:

Kunde möchte 1000 Stück kaufen. Das System zeigt an: 800 Stück sind sofort verfügbar, 200 weitere gibt es in 2 Wochen. Bei den im B2B oft größeren Bestellmengen kann eine Verfügbarkeit nur mit dem genauen Lagerbestand kommuniziert werden, und das, ohne für diese Informationen in Warteschleifen am Telefon hängen zu müssen.

Gerade im B2B erwarten Kunden heute digitale Services:

  • Bestellhistorie auf einen Blick
  • Dokumente wie technische Datenblätter und Downloads jederzeit verfügbar
  • Lieferstatus in Echtzeit

Ein Self-Service-Portal spart nicht nur Zeit auf beiden Seiten, sondern erhöht auch die Kundenzufriedenheit. Schließlich möchte niemand fünfmal anrufen, nur um eine Rechnung zu bekommen.

 

5. B2B-Onlineshop: Die Kür der Digitalisierung

Die meisten B2B-Firmen zeigen ihre Produkte schon online, sei es als Aufzählung auf der Webseite oder zum Download als PDF-Katalog. Wer es mit der Vertriebsdigitalisierung wirklich ernst meint, geht noch einen Schritt weiter und führt einen B2B-Onlineshop ein.

Dabei ist der digitale Vertriebskanal kein Ersatz für den Außendienst, sondern eine sinnvolle Ergänzung, besonders bei wiederkehrenden oder standardisierten Bestellungen.

Ein moderner B2B-Shop bietet:

  • Eine erstklassige Produktdarstellung (Konfiguratoren inklusive)
  • Ein personalisiertes Einkaufserlebnis, wie kundenindividuelle Preise und Produktkataloge
  • Innovative B2B-Bestelloptionen wie Bestellung via Scanner, IoT, OCI/cXML-Punchout oder Schnellbestellungen, z. B. per CSV-Upload
  • Einen komfortablen Bestellprozess mit zusätzlichen Info-Feldern für Bestellungen oder Angebotsanfragen

Und das Beste: Der Shop schläft nie. Selbst um 23 Uhr am Freitagabend ist er bereit für neue Umsätze.

Aber Achtung: All diese Hinweise und neue Software, um den Vertrieb effizienter zu machen, bedingen zwei wichtige Dinge:

  1. Digitalisierung ist kein einfacher Tool-Einsatz, sondern ein Change-Prozess! Nehmen Sie alle Stakeholder mit auf die Reise. Ein CRM-System kann beispielsweise noch so gut sein; wenn die Mitarbeiter:innen es nicht (oder falsch) nutzen, funktioniert es nicht.
  2. Jede neue Software, die Sie in Ihr Unternehmen integrieren, entfaltet erst dann ihr volles Potential, wenn sie auch wirklich in die IT-Systemlandschaft integriert ist. Es sollte also digitale Schnittstellen zu allen relevanten Systemen geben (bzw. zur Middleware).

Wer jetztwegen hoher Investitionskosten, fraglichem ROI und einem angenommenen Unwillen der Kunden gegenüber diesen Änderungen zurückschreckt, sollte die aktuellen Studien zu B2B-Vertrieb zu Rate ziehen.

Schon jetzt wünschen sich 83% der B2B-Einkäufer Self-Service-Portale (Quelle: ECC Köln, 2024, Von Katalogen zu Klicks). Seien Sie mutig! Ihre Kunden wird es beeindrucken, wenn Sie sich selbst weiterentwickeln. Und ja, die Investitionen mögen im ersten Blick hoch erscheinen, aber wenn der Außendienst mit Hilfe eines guten Produktkonfigurators im B2B-Shop auf einmal viele Leads in Kunden umwandelt und der Innendienst dank automatisierter Prozesse nicht mehr nur 5, sondern 50 Kunden gleichzeitig betreuen kann, zahlt sich die Investition sehr schnell aus.

Was wären also die ersten Schritte?

  • Zielbild definieren: Was soll sich verbessern?
  • Datenqualität analysieren (Produkte & Kunden)
  • Bestehende Prozesse dokumentieren
  • Quick Wins identifizieren (z. E-Mail-Bestellungen automatisieren)
  • Ein interdisziplinäres Projektteam aufsetzen

Fazit: Jetzt handeln, nicht abwarten

Vertriebsdigitalisierung ist kein Hexenwerk – aber sie erfordert Strategie, Konsequenz und Investitionen in Daten, Systeme und Prozesse. Die gute Nachricht: Der Return on Investment kommt schnell in Form von Effizienz, Transparenz und Kunden- und Mitarbeiter:innenzufriedenheit.
Also: Mehr Mut zur Digitalisierung, mehr Conversion.

Über den Autor

Christian Philipp ist Geschäftsführer und Mitgründer der integer_net GmbH in Aachen. Als Experte für B2B-E-Commerce hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Anzahl der Faxgeräte in deutschen Unternehmen zu reduzieren. Er berät Unternehmen bei der Transformation hin zu schlanken und effizienten Prozessen im Vertrieb. Seit der Gründung von integer_net im Jahr 2012 ist es sein Anliegen, den deutschen Mittelstand durch nachhaltige, digitale Prozesse zu stärken und wettbewerbsfähig zu halten.

Christian Philipp, Geschäftsführer und Mitgründer der integer_net GmbH

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